Der Magistrat – ein Geheimbund?

Zwei Generationen Magistratsmitglieder nebeneinander. Das Foto zeigt rechts unseren heutigen grünen Stadtrat Raimund Schreckenberger und links Achim Blohberger. Achim, damals Ende 1983 mit 29 Jahren jüngster Stadtrat und von 2011 bis 2016 Erster Stadtrat, also ehrenamtlicher stellvertretender Bürgermeister – beide im Dienst für Groß-Gerau, beide mit Blick hinter die berühmte „verschlossene Tür“. Aber was passiert dort eigentlich? Und warum wirkt der Magistrat manchmal wie ein moderner Geheimbund?

Ein Hauch von Geheimnis

Wer kennt sie nicht, die Verschwörungsbücher von Dan Brown oder den sagenumwobenen Bund der Freimaurer? Auch den Magistrat umweht eine geheimnisvolle Aura, Schweigepflicht inklusive. Acht Rätinnen und Räte sowie der Bürgermeister sitzen hinter verschlossenen Türen. Was dort gesprochen wird, bleibt dort. Nur der Bürgermeister darf das Schweigen brechen, tut es aber klugerweise selten. So entsteht das Bild eines kleinen Geheimbunds. Doch keine Sorge: Es geht nicht um geheime Rituale, sondern um handfeste Entscheidungen für die Stadt.

Worum geht’s wirklich?

Im Magistrat dreht sich vieles um das liebe Geld: zu wenig davon, wohin es fließt und wie man es am besten verteilt. Bauvorhaben, Beförderungen, Gehälter, Kreisumlage, Stundensätze, das sind die Themen.

Ein Beispiel:
Zwei Bauhofmitarbeiter sollen in einem Kindergarten Lärmschutzsegel anbringen. Kalkulatorischer Stundensatz: 85 Euro. Zwei Mitarbeiter × zwei Tage × acht Stunden = 2.720 Euro (ohne Material).

Diese Kosten erscheinen dann auf der Kostenstelle des Groß-Gerauer Kindergartens ganz korrekt und verursachungsgerecht. Nur: Politik und Öffentlichkeit sehen das oft anders. Denn Kinderbetreuung kostet, Friedhöfe sollen kostendeckend sein, und schon ist der Ärger da. Wenn der Landrat dann fordert, die Friedhofsgebühren um 40 % zu erhöhen, landet die Verantwortung beim Groß-Gerauer Bürgermeister. Der darf’s dann ausbaden! Wer im Groß-Gerauer Magistrat wie abgestimmt hat? Geheim! Die nächste Stadtverordnetensitzung wird dadurch umso unterhaltsamer.

Zwischen Amt und Mensch

Neben den ernsten Themen hat der Groß-Gerauer Magistrat auch repräsentative Aufgaben: Glückwünsche, Grußworte, runde Geburtstage, Jubiläen, Vereinsfeste. Der Magistrat ist das Gesicht der Stadt, immer nah dran an Vereinen, Verbänden, Unternehmen und Bürger:innen. Er hört zu, sammelt Stimmungen und vermittelt. Kurz gesagt: Der Magistrat ist das Ohr und Gesicht der Stadt.

Arbeit? Und ob!

Magistratsarbeit heißt: Lesen! Lesen! Lesen! Vor allem aber verstehen und entscheiden. Wöchentlich landet ein dicker Stapel Papier auf dem Tisch, wie Waldwirtschaftspläne, Bebauungspläne, Beschlussvorlagen. Das alles will durchgearbeitet werden, oft mit Recherche, Google-Unterstützung und aktuell der Künstlichen Intelligenz. Die regelmäßigen Sitzungen selbst dauern mehrere Stunden. Fachleute aus der Verwaltung erklären Details, der Bürgermeister moderiert als „Gleicher unter Gleichen“. Beschlüsse fallen nicht immer einstimmig, aber meist mit gesundem Einvernehmen. Schließlich geht’s um Groß-Gerau, um die Stadt für uns alle, nicht um persönliche Eitelkeit.

Der ewige Kampf mit den Zahlen

Ein Höhepunkt (oder Albtraum): der Haushalt. Ein gutes Kilo Papier, meist noch mehr, voller Zahlen, Zahl, Zahlen, Kürzel und Tabellen. Den zu verstehen, zu erklären und anschließend in der Fraktion zu vertreten, ist Knochenarbeit. Und wenn dann draußen empörten Groß-Gerauer Eltern oder Musikschullehrer:innen lärmend stehen, weil die Gebühren mal wieder steigen sollen, hilft kein Hinweis auf Regierungspräsidenten oder Landrat, denn Verantwortung trägt man hier in Groß-Gerau vor Ort.

Zwischen Realität und Facebook-Kommentaren

Nach all der Arbeit kommen die Kommentare:

„Versager“, „faule Säcke“, „Geldverschwender“, „denen habe se ins Gehirn geschisse“ – die wirklich „netten“ Anmerkungen lassen wir hier mal weg, wir denken nämlich immer positiv. Im Netz wird selten differenziert. Dabei ist der Groß-Gerauer Magistrat kein Geheimbund, sondern eine Gruppe engagierter Menschen, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich wöchentlich zahlreiche Stunden investieren, um das Beste für ihre Stadt zu entscheiden.

Nein, der Magistrat ist kein Geheimbund.

Aber manchmal fühlt es sich so an, wegen der vielen Geheimnisse, der stillen Arbeit im Hintergrund und der Verantwortung, die man trägt. Hinter verschlossenen Türen wird nicht verschworen, sondern verwaltet, verhandelt und entschieden mit Herz, Humor und einer Portion Idealismus.